Die App für einen gesunden Lebensstil im Alter

18.04.2024 Kann eine App älteren Menschen helfen, ihre Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern? Dieser Frage ging ein Forschungsteam der Berner Fachhochschule anhand einer zwölfwöchigen Lebensstil-Intervention nach. Die Resultate der Studie sind vielversprechend.

Mit festem Griff stützt sich Hildegard Holenstein am Stuhl ab, während sie ihre Knie beugt und sich langsam wieder aufrichtet. Ihr Blick ruht konzentriert auf dem Bildschirm vor ihr, auf dem ein Video läuft, das sie durch die Übung führt. In den vergangenen zwölf Wochen hat die 84-Jährige an der Studie DELIA der BFH teilgenommen. Diese hat das Ziele, die Nutzung einer App zur Förderung eines gesunden Lebensstils bei älteren Menschen zu testen.

Ein gesunder Lebensstil ist wichtig, um die Lebensqualität im Alter zu erhalten. Das weiss Hildegard Holenstein als ehemalige Leiterin der Weiterbildung Pflege am Inselspital in Bern bestens: «Ich bin eine aktive Person und will aktiv bleiben.» Gesundheitsbewusste, ältere Menschen wie sie gibt es in der Schweiz immer mehr. Die meisten Apps und Programme, die zu mehr Bewegung oder zu einer gesünderen Ernährung motivieren, richten sich aber eher an eine jüngere Klientel. Was die Lebensstil-App der BFH ausmacht, ist, dass sie die Lebensbereiche Schlaf, Ernährung, Bewegung, Entspannung, Achtsamkeit und soziale Beziehungen umfasst, Zusammenhänge ganzheitlich integriert und spezifisch für Menschen über 65 Jahre entwickelt wurde. Auch weiterführende Themen wurden einbezogen, zu denen etwa die Natur, Gedächtnistraining, Sexualität im Alter oder der Umgang mit dem Tod gehören.

Ich würde die App Kolleginnen und Kollegen weiterempfehlen, die gerne unabhängig etwas für ihre Gesundheit tun wollen.

Hildegard Holenstein
Hildegard Holenstein Teilnehmerin der DELIA-Studie

Können etablierte Gewohnheiten durchbrochen werden?

«Wir wollten herausfinden, wie ältere Menschen eine solche digitale Intervention annehmen und ob diese App geeignet ist, die Lebensqualität von älteren Menschen zu verbessern», sagt Dr. Renato Mattli, Projektleiter der Studie. «Im Alter ist es schwierig, etablierte Gewohnheiten zu ändern», gibt der Spezialist für Lebensstil-Interventionen zu bedenken. «Darum war es uns wichtig, die Ansprüche der Bevölkerung über 65 Jahre an eine digitale Lebensstil-Intervention zu erfassen.» Die Entwicklung folgte deshalb einem partizipativen Ansatz, d. h. unter Mitwirkung von Nutzer*innen sowie sehr erfahrener Gesundheitsfachpersonen und Wissenschafter*innen mit unterschiedlichem Hintergrund. Eine App könnte in Zeiten des Fachkräftemangels und steigender Gesundheitskosten eine wirtschaftlich gut umsetzbare Massnahme der Gesundheitsförderung sein.

Hildegard Holenstein war eine von 108 Personen, die an der Studie DELIA teilgenommen haben. Die Proband*innen erhielten über die Lebensstil-App eine zwölfwöchige digitale Intervention. Die App enthielt einen individualisierten Wochenplan mit interaktiven Modulen zur körperlichen Aktivität, zu Ernährung, Schlaf und Achtsamkeit. Die Module für körperliche Aktivität umfassten beispielsweise Anleitungen für Übungen, Ideen, um sich mit Freund*innen draussen in der Natur zu bewegen und eine Fortschrittsverfolgung. Die Module für Achtsamkeit und Entspannung enthielten geführte Meditationen, Atemübungen und Entspannungstechniken. Daten wurden vor, während und nach der Intervention gesammelt. Zusätzlich führten die Forscher*innen Interviews durch, um vertieft Einblick ins Nutzungsverhalten und in die Zufriedenheit zu erhalten.

Unabhängigkeit und Vielfalt überzeugen

Von den 108 Teilnehmer*innen nutzten 55,6 Prozent die Intervention bis zur zwölften Woche. Für Renato Mattli ist dies ein Erfolg: «Ich hätte im Vorfeld nicht gedacht, dass so viele Menschen das Angebot bis zum Ende nutzen.» Diejenigen, die vorzeitig aufhörten, taten dies hauptsächlich innerhalb der ersten zwei Wochen, und zwar primär aufgrund von Zeitmangel. Jene Proband*innen, welche die App während der ganzen Zeit nutzten, waren sehr zufrieden mit der Intervention. So auch Hildegard Holenstein: «Ich würde die App Kolleginnen und Kollegen weiterempfehlen, die gerne unabhängig etwas für ihre Gesundheit tun wollen.» Besonders schätze sie die Flexibilität des Programms: «Als ich in den Ferien in Griechenland war, konnte ich das Programm einfach weiterführen.»

Die Lebensstil-App im Einsatz.

Ein anderer Aspekt, der von den Teilnehmer*innen positiv beurteilt wurde, war die Vielfalt der behandelten Themen. Allgemein konnten die Senior*innen durch die einfache Handhabung und die passenden Inhalte der App das Gelernte auch gut in ihren Alltag integrieren. Sie berichteten, dass die Intervention dazu begetragen hätten, sich regelmässiger zu bewegen, gesünder zu essen und einen bewussteren Umgang mit ihrem Schlaf zu finden. «Eine App muss nicht für alle älteren Menschen das richtige Mittel für eine Lebensstil-Intervention sein», summiert Renato Mattli die Forschungsergebnisse, «aber unsere Studie zeigt, dass Menschen dazu bereit sind und dass eine rein digitale Intervention zu einem gesünderen Lebensstil beiträgt. Darüber hinaus gibt die Studie Hinweise, dass sich das Wohlbefinden in gewissen Dimensionen statistisch signifikant verbessert hat.» Um herauszufinden, ob langfristige Änderungen möglich wären, sind langfristigere Untersuchungen erforderlich.

Inhalte sind frei verfügbar

Für Hildegard Holenstein gibt es aber auch Verbesserungspotenzial: «Das Handy ist nicht ideal, um komplexe Videoübungen anzuschauen», findet die Rentnerin, denn dazu sei der Bildschirm zu klein. Sie würde es präferieren, Videos auf einem Laptop anzuschauen. Andere Teilnehmer*innen wünschen sich einen stärkeren Einbezug von Musik, Spiritualität, Kreativität, sozialen Beziehungen oder der Natur in das Programm. «Wir werden versuchen, die Rückmeldungen im Rahmen der Möglichkeiten umzusetzen», sagt Renato Mattli. Dazu ist aber eine nachhaltige Finanzierung der Weiterentwicklung notwendig. Bis diese sichergestellt ist, sind die Inhalte der Lebensstil-App auf einer Webseite frei verfügbar. So kann Hildegard Holenstein auch nach dem Ende der Studie mit den Trainingsvideos einen bewussten Lebensstil pflegen.

Zur Person

Dr. Renato Mattli
Dr. Renato Mattli arbeitet an der Berner Fachhochschule als Projektleiter für Lebensstil-Interventionen. Dabei profitiert er von seinen vielseitigen Erfahrungen aus den Bereichen Bewegungs- und Sportwissenschaften, Public Health, Gesundheitsökonomie und klinischer Forschung. Er arbeitet in der Akademie-Praxis-Partnerschaft mit dem Inselspital in einem interprofessionellen Team mit dem wichtigen Bezug zur klinischen Praxis. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen an der BFH, nicht nur innerhalb des Departements Gesundheit, ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit.

Lebensstil-Interventionen im Fokus

Die Förderung eines gesunden Lebensstils gewinnt zunehmend an Bedeutung bei der Prävention von Krankheiten und bei der Rehabilitation nach Krankheitsfällen. Deshalb veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Reihe von Beiträgen zu unserem Forschungsfeld Lebensstil-Interventionen. Auch das Symposium Fokus Gesundheit widmet sich diesem Schwerpunktthema mit ausgewiesenen Fachexpertinnen und Fachexperten.

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